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Prof. Dr. Kurt Singer

Alle Welt gegen wehrlose Schulanfänger
Macht-Missbrauch einer sadistischen Lehrerin – Psychische Gewalt verletzt Kinder – Alle schauen zu

„Das sind ja nur Einzelfälle.“ Dieser kinderfeindliche Satz wird oft ausgesprochen, wenn Lehrer Kinder seelisch verletzen. Er drückt Gleichgültigkeit gegenüber jenen Kindern aus, die durch die Gewalt kränkender Worte psychisch Schaden nehmen. Das Tabu bei unpädagogischem Lehrerverhalten scheint unüberwindlich, wie der folgende Fallbericht zeigt.

Macht-Missbrauch einer sadistischen Lehrerin

Pädagogische Barbarei versetzte eine Schulklasse sechsjähriger Kinder in Schrecken. Frau N. drohte den Schülern, sie in den Kindergarten zurückzuschicken, schrie sie an, stellte sie zur Strafe hinter den Schrank, befahl ihnen, sich umzudrehen: „Ich ekle mich vor dir, geh in die letzte Reihe.“ Schülerinnen mussten mit dem Gesicht zur Wand stehen, „damit ich dein Gesicht nicht mehr sehe“. Ahnte Anja den Doppelsinn ihrer Worte? „Die Lehrerin hat mich an die Wand gestellt.“ Mehrere Mütter gaben ihr Kind in die Nachbarschule, „weil Frau N. es psychisch kaputt machte: Meine Tochter ängstigte es, im Turnen von der hohen Sprosse zu springen. Die Lehrerin: „Spring du nur, um dich ist nicht schade!“ Einen Jungen mit geflickter Kleidung verspottete sie vor den Mitschülern. Sie zerriss Arbeitsblätter der Schwachen und warf sie in den Abfall. Auslachen gehörte zum Unterricht.

Es handelt sich um seelischen Sadismus: Die Lehrerin demütigt Kinder vorsätzlich, verletzt sie bewusst, macht Schüler abhängig, übt Gewalt aus. Ein sadistischer Mensch quält andere, weil sein Herz verhärtet ist. Er kann sich selbst nicht zur geliebten Person machen. Dieses Unvermögen gleicht er mit der zerstörerischen Leidenschaft aus, Macht über andere zu besitzen, sie leiden zu machen.

Kinder-Alb-Träume im Jahr 2000 – Unbarmherzigkeit der Erwachsenen

Ludwig träumte, die Schule bräche über ihm zusammen. Ein Mädchen schreckte aus dem Alb-Traum hoch, Frau Nagel habe sie nackt ausgezogen, ihr die Haare abgeschnitten und sie überall hin geschlagen, wo sie traf. Kinder gingen „mit Tränen in die Schule und kamen mit Tränen nach Hause“. Mesud wurde von Frau N. am Ohr festgehalten, dann schlug sie ihm rechts und links ins Gesicht. Enver zog sie an den Haaren und versetzte ihm Ohrfeigen. Diese Gewalttätigkeit verletzte Kinder nicht nur seelisch, sondern auch psychosomatisch. Die unerträgliche emotionale Spannung führte zu Bauch-Angst, Übelkeit, Appetitlosigkeit, Durchfall, Magenschmerzen und Erbrechen: Ausdruck des hilflosen Verstummens der Kinder. „Die schlimmste Erfahrung, die wir machten“, sagt eine Mutter: „Niemand der Verantwortlichen durchbrach den Kreislauf von Erniedrigung und Gewalt. Keiner trat aus der Apathie des Zuschauens heraus und stellte sich auf die Seite der Kinder. Wir erlebten auf unsere Fragen eine feindliche Antwortlosigkeit der Behörden.“

  • Die Schulleiterin deckte die Inhumanität. „Frau N. hat nun mal ihren eigenen Erziehungsstil.“ Dabei handelte es sich doch um Straftaten, etwa wenn Frau N. Schüler im Ethikunterricht ins Gesicht schlug.

  • Der Schulrat eilte nicht an den Ort des Unrechts, um Kindern und Lehrerin zuzuhören, mit ihnen zu reden. Er schrieb von einer „gewissen Tragik solcher Einzelfälle“, und setzte die Kinder mitleidlos der Tragik aus.

  • Die Schülereltern schwiegen mehrheitlich; sie fürchteten, die Lehrerin könnte sich an den Kindern rächen. Sozial empfindsame Mütter, die sich über die Hartherzigkeit empörten, standen allein und wurden selber krank.

  • Die Staatsanwältin ließ die geschlagenen Jungen durch Polizisten fragen, wie weh die Schläge taten, und stellte das Verfahren wegen „geringen Verschuldens“ ein.

  • Die Kultusministerin meinte, die „Fürsorge für einen Beamten“ dürfe nicht so weit führen, ihn nicht entlassen zu können. Fürsorge für die unmenschlich behandelten Kinder übernahm auch sie nicht.

  • Die Lehrerkolleginnen stellten sich hinter die „doch recht patente Kollegin“. Nachdem Frau N. erfuhr, dass es zu keinem Strafprozess kommt, brachte sie triumphierend eine Flasche Sekt ins Lehrerzimmer. Keiner Kollegin verschloss es aus Scham die Kehle: Prost auf die seelisch verwundeten Kinder.

Verletzung der Menschenwürde – Wo beginnt Rechtsradikalismus?

Astrid sagt: „Die Lehrerin ist böse.“ Aber es ist die Gleichgültigkeit der Umgebung, die das Böse nährt. Sie legt die Kinder erbarmungslos in die schlagende Hand einer Frau, die unfähig ist, zu fühlen. Ungehindert darf sie mit einer Pädagogik der Unterdrückung die Menschenrechte verletzen. Beginnt Rechtsradikalismus nur bei Skin-Heads in Rostock, gewaltbereiten Jugendlichen in Neu-Perlach – oder hier: Eine Lehrerin schlägt Ausländer, tut Schwachen Gewalt an, erniedrigt Benachteiligte. Sie behandelt Kinder wie Feinde, die es zu demoralisieren gilt. Wer beim Anblick solcher Schul-Verbrechen ungerührt bleibt, verleiht ihnen den Anschein des Natürlichen; seine moralische Apathie unterstützt die Untat. Aus dem individuellen Sadismus wird ein kollektiver Sadismus durch alle, die das Unrecht in Schweigen hüllen.

In einem ähnlichen Fall brach eine pädagogisch engagierte Lehrerin das Tabu bei verletzendem Lehrerverhalten. Sie gab ihrem Mitleid nach und setzte sich mit sozialem Mut für die Kinder ein. Nach Rousseau offenbart sich die allen gemeinsame Menschennatur nicht in der Vernunft, sondern im Mitleid: in einem eingeborenen Widerwillen, einen Mitmenschen leiden zu sehen.

Eine Verbindungslehrerin verteidigt die Persönlichkeitsrechte der Kinder

Frau D. war an ihrer Schule „Vertrauenslehrerin“. Schülerinnen einer fünften Klasse beklagten sich bei ihr: Bitte, Frau D., helfen Sie uns. Die Lehrerin ist so streng, sie schreit die Schwächeren an, gibt so viel Hausaufgaben, dass wir den ganzen Nachmittag dasitzen. Viele weinen, weil sie sich vor ihr fürchten...“ Die Verbindungslehrerin tröstete: die Lehrerin sei eben anders, sie würden sich schon daran gewöhnen und sollten selbst mit ihr reden. Das überforderte die Zehnjährigen. Frau D. merkte, wie sie versucht war, nicht nach ihrer Überzeugung zu handeln, sondern wegzuschauen. Das Tabu wirkte auch in ihr: Von seelisch verletzendem Lehrerverhalten darf nicht gesprochen werden.

Ihre Schüler ermunterte sie zu Zivilcourage – und ihr fehlte jetzt selbst der Bürgermut? Sie nahm sich nun doch Zeit, die Sorgen der Kinder anzuhören. Je mehr sie von den Beleidigungen hörte („Auch eine blinde Henne findet mal ein Korn“), von den Demütigungen erfuhr („Stell dich mit deiner Dummheit in die Ecke“), je mehr seelische Verletzungen sie mitgeteilt bekam („Eigentlich gehörst du ja in die Sonderschule“), um so stärker wuchs ihr Mitleid. Jetzt wollte sie trotz ihrer Angst den Konflikt wagen und bat die Kollegin um ein Gespräch. Sie machte ihr keine Vorwürfe, sondern ließ sich erkennen mit dem Kummer der Kinder und mit ihrem eigenen Fühlen und Denken. Die so konfrontierte Lehrerin verteidigte sich: Kinder würden lügen und seien zu empfindlich. Frau D. blieb bei ihrem Vorsatz, nicht persönlich anzugreifen, sondern alles zu versuchen, um im Gespräch zu bleiben. Dabei gelang ihr Ungewöhnliches. Sie schlug der Kollegin vor, sich mit ihr und der Klasse zusammen zu setzen, um zu hören, welche Ängste die Kinder plagen und was für Wünsche sie haben.

„Zuhören“ , eine gewalt-heilenden Kraft – „Tapferkeit vor dem Freund“

Zögernd war die Lehrerin dazu bereit. Die Kolleginnen vereinbarten, den Kindern nur zuzuhören, keine Gegenrede zu führen. Das wurde ein bewegendes Kreisgespräch. Die Schülerinnen erzählten taktvoll, was sie bedrückte: wie es sie kränkt, wenn sie ausgelacht, wie sie sich schämen, wenn sie mit Misserfolg bloßgestellt werden. Sie beklagten, wie beschämend es die Schwachen fänden, dass die Lehrerin eine Leistungs-Rangordnung aufstellte, nach der es heißt: Monika ist die dreiundzwanzigste von vierundzwanzig. Und sie äußerten Wünsche: die Lehrerin möge ein persönliches Wort an sie richten, auch einmal lachen...

Alle berührte das Gespräch; das hatte Folgen. Vermutlich kam in der gefürchteten Lehrerin doch Scham auf über ihr unanständiges Verhalten; denn sie versuchte taktvoller zu sein, gab weniger Hausaufgaben und hob die ruf-schädigende Rangliste auf. Sie blieb im Kontakt mit der helfenden Lehrerin, wohl erleichtert, im Kollegium nicht nur Außenseiterin zu sein. Die zivilcouragierte Lehrerin, Frau D., wagte „Tapferkeit vor dem Freund“. So nennt Ingeborg Bachmann den Mut, innerhalb der eigenen Gruppe Widerspruch zu wagen: im Elternbeirat, Kollegium, in der eigenen Partei.

Eltern und Lehrerkollegen sind nicht machtlos

Die verletzende Lehrerin lernte ein neues Verhalten, das ihren Charakter wahrscheinlich wenig veränderte. Aber die Befürchtung, mit ihrem Macht-Missbrauch öffentlich kritisiert zu werden und Schwierigkeiten zu bekommen, zwang sie zur Verhaltensänderung. Dass sie das Gesprächs-Angebot von Frau D. annahm, war eine Leistung für sie; es regte sich offenbar in ihr selbst ein Wunsch nach Verbesserung der Situation.

Das Beispiel kann Schülereltern, Kollegen und Schulbehörden ermutigen, sich nicht so leicht in Ohnmacht gegenüber unpädagogischen Lehrern zu begeben. Verletzende Lehrer sollten verpflichtet werden, sich fortzubilden, sich einer Selbstreflexion zu unterziehen, zu lernen wie man unterrichtet, sich in Supervisionsgruppen oder psychotherapeutisch helfen zu lassen. Verhaltensgestörten Lehrern müssten ebenso Grenzen gesetzt und Hilfen angeboten werden wie verhaltensgestörten Schülern.

Frau D. brach das Tabu destruktiven Lehrerverhaltens. Aus ihrem Mitleid erwuchs die moralische Kraft, Kindern beizustehen. Sie lebte vor, wie man Konflikte gewaltfrei regelt und half der Kollegin, ihre zerstörerische Energie aufzufangen. Und sie tat etwas für sich selbst: Sie wahrte ihre Identität, ihr Lehrerinnen-Selbstbild und brachte mehr Offenheit ins Kollegium.

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