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Kurt Singer

Was können Eltern tun, wenn der Lehrer ihr Kind kränkt?
Schritte der Konfliktbearbeitung – Eine Übersicht

An allem Unrecht, das geschieht, ist nicht nur der schuld, der es begeht, sondern auch der, der es nicht verhindert.
Erich Kästner

Die Initiative ergreifen – Aus dem Gegeneinander ein Miteinander machen

Kinder und Jugendliche sind wie Erwachsene als einmalige Persönlichkeit zu achten. Jeder einzelne Schüler hat das Recht auf seine Würde. Häufig werden die Einzelfälle des Macht-Missbrauchs von Lehrern beschwichtigend abgetan und vertuscht. Dadurch kann sich die unwürdige Behandlung von Schulkindern jahrzehntelang fortsetzen. Zudem wirkt der geduldete Macht-Missbrauch wie ein Krankheitserreger in das Schulsystem hinein und er trägt wiederum zu den krankmachenden Bedingungen der Schule bei.
Es gibt viele Möglichkeiten, destruktives Lehrerverhalten nicht wegschauend, resignierend oder bagatellisierend hinzunehmen. Ziel ist es, aus dem Gegeneinander ein Miteinander zu machen, eine gemeinsame Lösung zu finden. Dazu eignen sich folgende Wege der Konfliktbearbeitung, die ich hier in Leitgedanken zusammenfasse:

Den Schülern zuhören und sie wahrnehmen

  • Kinder frei erzählen lassen, was sie bedrückt, wie sie die Kränkung wahrnehmen bei sich selbst und bei den Mitschülern. Zuhörend sich dafür interessieren, wie sie das ängstigende oder überfordernde oder verletzende Unterrichtsklima erleben. Nur wenn Eltern und Lehrer zuhören, können sie sich in die Situation der Kinder eindenken. Manche Schüler mögen es auch aufschreiben, wie es in der Schule geht. Bereits sich aussprechen können und gehört werden kann das Kind erleichtern.

  • Genau hinsehen, den Ist-Zustand wahrnehmen, statt wegzuschauen. Die Mitteilungen des Kindes nicht bagatellisieren oder zurückweisen: „Es wird schon nicht so schlimm gewesen sein“, oder „Das wird auch an dir liegen“, oder gar „Das musst schon aushalten.“ Das Kind mit seinen Aussagen so ernst nehmen wie Erwachsene.

  • Bei eher harmlosen Verstößen des Lehrers mit dem Kind überlegen, ob es selbst etwas tun kann, die ängstigende Situation zu mildern: ob es sich zutraut, zum Lehrer hinzugehen und ihn beispielsweise zu bitten, es nicht mehr auszulachen. Meist überfordert das die Kinder; dann brauchen sie die Hilfe und das Vorbild der Eltern, die zu ihnen stehen und sich beim Lehrer beschweren. In manchen Fälle ist es jedoch möglich, ältere Schüler dabei zu unterstützen, sich gegen unfaires Lehrerverhalten zu wehren. Dabei können sie erleben, dass sie nicht so ohnmächtig sind, wie sie es annehmen.

  • Die Beobachtungen anderer Kinder und Eltern einbeziehen: Wie Mitschüler die Situation gesehen haben, was die Kinder anderer Eltern zu Hause erzählt haben und wie andere Eltern zu den Vorfällen denken. Eltern können sich wechselseitig stärken, wenn sie merken, dass die anderen ähnliche Probleme haben wie sie und sich ebenfalls wehren möchten.

Als Eltern aktiv werden und sich einmischen

  • Das Gespräch mit dem kränkenden Lehrer führen: Sich als Mutter und Vater begreiflich machen mit der Not des Kindes und der eigenen Not. Sich erkennen lassen mit der Sorge und der eigenen Sicht des Konflikts. Die Sicht des Lehrers anhören und Verständigung bedacht sein, aber gleichzeitig auf den Persönlichkeits­rechten der Schüler bestehen. Versuchen, nicht in einen Überzeugungs-Machtkampf zu geraten, aber ganz klar die eigenen Elternwünsche ausdrücken: „Ich möchte, dass Sie mein Kind nicht mehr bloßstellen. Eltern sollten mit dem Gang in die Sprechstunde nicht zu lange warten, sonst staut sich zu viel an. Für manche Mütter und Väter ist es hilfreich, sich auf das Gespräch mit Stichwortnotizen vorzubereiten, damit in der Aufregung nichts Wichtiges vergessen wird

  • In der Sprechstunde Eltern-Lehrer-Schüler-Gespräche führen, wenn der Lehrer dazu bereit ist. Die Kinder dürfen jedoch nicht überfordert werden, etwa wenn sie große Angst vor dem Lehrer haben. Gemeinsame Gespräche zwischen Eltern, Lehrer und Schülern hängen auch vom Alter der Schüler ab und davon, wie viel Demokratie an der jeweiligen Schule möglich ist. Wenn Eltern-Lehrer-Schüler-Gespräche zustande kommen, hat das den Vorteil, dass alle Beteiligten ihre Sicht vortragen können – und dass dann gemeinsam versucht werden kann, einen Neubeginn zu machen.

  • Oft ist es günstig, wenn mehrere von einem Problem betroffene Eltern unabhängig voneinander zum Lehrer gehen, um mit ihm über ihr persönliches Anliegen zu sprechen, das dann zum Anliegen aller wird. Durch die Einzelgespräche fühlt sich der Lehrer nicht durch eine Übermacht von Eltern bedroht und muss sich nicht für die Abwehr panzern. Dennoch ist es möglich, auch als kleine Elterngruppe ein Gespräch mit dem Lehrer zu führen.

  • Wenn es sich bei dem unpädagogisch handelnden Lehrer um einen Fachlehrer handelt: Gespräche der Eltern mit der Klassenlehrerin, dem Vertrauenslehrer (Verbindungslehrer) und mit aufgeschlossenen Lehrern des Kollegiums führen. Sich mit der Kritik erkennen lassen und konkrete Beispiele anführen. Pädagogisch aufgeschlossene Lehrer um Mithilfe bitten, die Kinder zu schützen.

  • Gespräche mit anderen Schülereltern führen, über deren Beobachtungen und Erfahrungen. Sich als Gruppe formieren, sich solidarisieren und zum Widerstand ermutigen. Vereinbarungen treffen, zum Beispiel die, dass möglichst viele Eltern einzeln zur Lehrerin gehen und die Klage vorbringen, die ihr Kind betrifft.

  • Es gibt den Eltern Halt, wenn sie eine Elterngruppe gründen, in der sie sich regelmäßig treffen, ihre Anliegen besprechen, Aktivitäten untereinander aufteilen.

  • Vorkommnisse, welche die Würde des Schülers verletzen, möglichst  konkret und wortgetreu schriftlich festhalten; diese Vorkommnisse von anderen Schülern und Eltern bestätigen lassen. Worte verflüchtigen sich leichter als das geschriebene Wort; es verschafft gedankliche Klarheit.

  • Auch Gespräche der Eltern mit Lehrer oder Schulleiter protokollieren. Zum Beispiel wie sie verliefen, ob die Gesprächsbereitschaft verweigert wurde oder ob diese vorhanden war. Das ist deshalb wichtig, weil manche der kränkenden Lehrer mit den Eltern ebenso verfahren wie mit den Kindern. Sie weisen Eltern zurück, leugnen bestimmte Vorfälle ab, bezichtigen Kinder der Unwahrheit.

  • Aus den Protokollen eine Dokumentation verfassen. Sie zeigt solche Vorfälle auf, die von anderen Eltern und Schülern bestätigt werden können und auch dazu bereit sind, die entsprechende Aussage zu machen. Diese Dokumentation soll mindestens eine informierte und engagierte Gruppe von Eltern unterschreiben. Je mehr, desto besser, aber auch wenn es beispielsweise nur fünf sind, die mit guten Argumenten und stichhaltigen Beobachten sich gegen die seelische Verletzung ihrer Kinder vorgehen wollen, ist das wirksam.

  • Den Lehrer, dem die Beschwerde gilt, über die Schritte informieren, die Eltern vorhaben: über Gespräche mit Schulbehörde, mit Psychologen, mit Erziehungswissenschaftlern, mit Politikern und darüber, den  Konflikt, wenn keine Lösung möglich wird, öffentlich zu machen. Auf beiden Seiten sollte größtmögliche Offenheit angestrebt werden.

  • Gespräch mit der Schulleitung auf der Grundlage der Dokumentation über das verletzende Lehrerverhalten. Die Stellungnahme des Schulleiters und die Maßnahmen, die er vorschlägt, ebenfalls in einem Protokoll festhalten. Alles versuchen, um einen „Schlagabtausch“ zu vermeiden und zu einer Verständigung zu kommen. Gleichzeitig fest bleiben in dem Bemühen, die Kinder zu schützen. Sich nicht beruhigen lassen, ehe nicht Schritte zur Konfliktlösung begonnen haben.

  • Für den Fortgang der Konfliktbearbeitung sind auch Briefehilfreich, wenn sie zum Beispiel nachweisbare Informationen enthalten über beleidigende Vorfälle. Solche Briefe können als Gesprächsgrundlage für die Beteiligten dienen; sie erleichtern die klare Argumentation und erschweren das Ausweichen der Konfliktpartnern, also des Lehrers, Schulleiters oder Schulrat oder anderer vorgesetzten Behörden. Eine schriftliche Vorbereitung hilft, die Gespräche zielgerichtet zu führen.

  • Diskussion im Elternbeirat. Die Elternvertreter genau informieren und sie zu Stellungnahme und Unterstützung auffordern. Elternbeiräte sollten sich mit allen Beteiligten um Lösungen bemühen. Auch manche Elternvertreter neigen dazu, den Konflikt herunter zu spielen, statt ihn zu lösen. Das sollten die Klage führenden Eltern nicht hinnehmen.

  • Eine Elternversammlung einberufen, dazu eine neutrale Versammlungsleiterin wählen. Die sorgt dafür, dass alle Seiten gleichwertig zu Wort kommen. Erste konkrete Schritte der Konfliktbearbeitung planen. Eine Versammlung sollte nicht zu Ende gehen, ohne die Vereinbarung zu treffen, was nun weiter geschehen soll. Die Elternversammlung muss gut vorbereitet werden. In den Vorbereitungsgesprächen muss klargestellt und in einer Tagesordnung für alle aufgeschrieben werden, worüber die Eltern mit der Lehrerin sprechen wollen. Besonders günstig ist, wenn die Lehrerin in die Vorbereitung einbezogen werden kann.

  • Sich pädagogisch sachverständig machen, um argumentieren zu können. Dazu können Eltern erziehungswissenschaftlichen Rat einholen bei Psychologen und Pädagogen, bei der Landeselternvereinigung oder durch Literaturstudium. Eltern sollten die Schulordnung, Schulgesetze und Erlasse über das Elternrecht kennen. Auch Landesverfassung und Grundgesetz dienen als Grundlage, die demokratischen Rechte zu verwirklichen. Es sollten alle Handlungsmöglichkeiten wahrgenommen werden, die durch die Schulgesetze vorgesehen sind.

Pädagogisch engagierte Lehrerinnen und Lehrer einbeziehen - 
Demokratische Öffentlichkeit herstellen

  • Gespräche von Lehrerkollegen mit dem unpädagogisch handelnden Kol­legen anregen: einzeln oder in kleiner Gruppe den Konflikt klären und Hilfsangebote machen. Dem Lehrer empfehlen, sich beraten zu lassen oder Supervision zu machen.

  • Gespräche mit Schulpsychologin, Beratungsleh­rer oder Schulsozialarbeiter. Sie bitten, die Situation der Kinder, Eltern und Lehrer wahrzunehmen, Stellung zu beziehen und sich für die Kinder einzumischen.

  • Das Kind anregen, mit dem Vertrauenslehrer (Verbindungslehrer), Schulpsychologen oder Beratungslehrer zu sprechen. Solche Gespräche sind auch in kleiner Schülergruppe möglich. Die Schüler sollten ermuntert werden, aktiv um Unterstützung zu bitten: „Bitte helfen Sie uns.“

  • Gespräch in Lehrerkonferenz und Schulforum; je mehr Offenheit besteht, um so größer werden die Chancen der Konfliktlösung. Ein Bündnis für Veränderungen anstreben. Für die Strukturierung des Gesprächs ist es günstig, schriftliche Anträge zu verfassen oder Tischvorlagen.

  • Gespräche mit Schülern aus der betroffenen Klasse, zum Beispiel durch die Schulpsychologin oder einen Lehrer, dem die Kinder vertrauen.

  • Konfliktbearbeitende Gespräche zwischen Schulklasse und dem Lehrer unter der Moderation eines vermittelnden Lehrerkollegen, der das Vertrauen der Schüler wie des Lehrers genießt. Das kann auch ein Beratungslehrer oder Schulpsychologe sein, der in Gesprächsführung erfahren ist.

  • Vorsprache bei Schulrat und anderen Schulbehörden. Wenn diese zu keinen Ergebnissen führen, eine ausführliche schriftliche Beschwerde verfassen, in der alle Informationen zusammengetragen werden, in der die Eltern ihren Protest formulieren und begründen und in der die Abhilfe aufgezeigt wird, die sie sich wünschen. Die einzelnen Beschwerdepunkt sollen pädagogisch-psychologisch begründet und mit den Bestimmungen von Unterrichtsgesetzen und Grundgesetz untermauert werden. Behörden halten die Eltern mit der Antwort oft lange hin. Deshalb ist es notwendig, nachzufragen und auf einer Antwort bestehen.

  • Antrag auf Umschulung eines durch den Lehrer gekränkten Kindes zu einer anderen Lehrerin erwägen, um dem Schüler einen neuen, angstfreien Anfang zu ermöglichen. Dazu die pädagogisch-psychologische Argumentation ausarbeiten.

  • Gegebenenfalls vom Kinderarzt schulbedingte psychosomatische Erkrankung be­scheinigen lassen, im Fall einer Therapie die Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin einbeziehen.

  • Wenn innerhalb der Schule keine Abhilfe möglich ist, eine: Öffentlichkeit herstellen mit Hilfe der Medien, einer Kinderbeauftragten, des Kinderschutzbundes, von Jugendhilfe-Einrichtungen, Bürgerinitiativen. Die zuständigen Gemeinderäte einbeziehen, Stadträte oder Landtagsabgeordneten in ihrem Bürgerbüro aufsuchen und sie um Unterstützung bitten.

  • Vom Petitionsrecht Gebrauch machen, sich an zuständige Stellen, an Politiker, den Abgeordneten des Wahlkreises, den Landtag, den Kultusminister mit einer Beschwerde wenden.

  • Gerichtliches Vorgehen auf der Grundlage des Strafgesetzbuches bei Verstößen gegen die Persönlichkeitsrechte der Kinder.

Alle Initiativen müssen vom gemeinsamen Willen getragen sein, keinerlei Gewalt in der Schule zu akzeptieren, weder körperliche Gewalt, noch geistige und seelische Gewalt durch verletzender Worte. Das gilt für Schüler, Eltern und Lehrer.

November 2008

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