Prof. Dr. Kurt Singer
Morgen haben wir eine Probearbeit!
Oder nimmt mich der Lehrer mündlich dran?
Wie kann ich mich auf die Stegreif-Prüfung vorbereiten?
Lernpsychologische Anregungen für Schülerinnen, Schüler
und Nachhelferinnen
Liebe Schülerinnen und Schüler,
manche von euch fürchten sich davor, der Lehrer könnte
am nächsten Tag eine „Ex“ geben. Die Angst vor unangesagten
Kurzprüfungen ist verständlich, besonders wenn man nicht sicher
ist, was „drankommt“. Angst ist nicht gut fürs Lernen.
Deshalb kündigen freundliche Lehrer, die psychologisch denken, die
Kurzprüfung an, obwohl sie das nach der Schulordnung nicht sollten.
Oder sie geben den Schülern einen deutlichen Hinweis, damit die nicht
befürchten müssen, unverhofft mit einer Kurzprüfung „überfallen“
zu werden. Das ist fair von den Lehrern, aber das ist auch lernpsychologisch
vernünftig. Denn Schüler können besser lernen, wenn sie
genau wissen, was gefragt wird und sie sich in Ruhe darauf vorbereiten
können.
Die folgenden lernpsychologischen Ratschläge gelten nur für
die Sachfächer, also wenn ihr in Geschichte, Erdkunde, Ethik, Biologie
oder anderen Sachfächern eine schriftliche Kurzprüfung zu erwarten
habt. Die Ratschläge gelten auch, wenn ihr euch darauf vorbereitet,
mündlich geprüft zu werden, also für eine „mündliche
Note“. Mit den folgenden Lernschritten kannst du dir den Lernstoff
einprägen.
1. Überlege dir: Was weiß ich schon über das
Lernthema?
Ehe du mit dem eigentlichen Lernen anfängst, solltest du dein Buch
oder Heft geschlossen lassen. Denke nach: Was fällt mir zu dem Thema
ein? Was weiß ich noch aus dem Unterricht? Oder aus dem Buch? Oder
aus der Zeitung, aus Gesprächen, dem Fernsehen?... Sich als erstes
bewusst zu machen: „Was weiß ich bereits?“ ist lernpsychologisch
wichtig; denn das Neue prägt sich besser ein, wenn das Alte fest
„sitzt“.
2. Schreibe in Stichwörtern auf, was dir einfällt!
Stichwörter sind „Einfallswörter“: Wörter,
bei denen dir etwas einfällt, das zu der Sache gehört, die du
lernen möchtest. Zum Stichwort fällt einem etwas Dazugehöriges
ein. Wenn du Stichwörter aufschreibst und darüber nachdenkst,
prägt sich das Gelesene sicherer ein. Durch das Nachdenken und Aufschreiben
bist du aktiv – und jede Eigenaktivität fördert das Lernen.
3. Schlage erst jetzt das Buch oder Heft auf, in dem steht, was
du lernen musst!
Lies den Text still durch und versuche den Sinn zu erfassen.
Beim Lesen merkst du auch, was du schon gewusst hast, darüber kannst
du dich freuen. Mach dir beim Lesen innere Bilder, stelle dir das Gelesene
anschaulich vor.
4. Lies den Sachtext halblaut und frage dich: Was erfahre ich
Neues daraus?
Beim halblauten Lesen prägt sich das Neue nicht nur über das
Auge, sondern auch über das Gehör ein. Du kannst es dir dann
leichter merken. Und auch die Sprechbewegung trägt zum Einprägen
bei.
5. Mach dir klar, was du verstehst und was du besonders interessant
findest!
Frage dich: Was möchte ich mir merken? Wenn du etwas nicht gleich
verstehst, dann fasse zuerst all das andere auf, das dir klar ist und
lasse zunächst das Unverstandene weg. Danach kannst du später
fragen.
6. Lerne nicht auswendig, sondern inwendig!
Das heißt: Versuche die Sache, den Vorgang zu
verstehen. Sage das Neue in deinen eigenen Worten, nicht in denen des
Buches. Mit den eigenen Worten „verleibst“ du dir das Neue
sicherer ein. Das Eigene, selbst Gedachte kannst du dir besser merken,
als das Nachgesagte. Stelle dir immer wieder in Bildern vor, was du liest.
7. Unterstreiche im Buch das Wichtige, markiere es farbig, dann
prägt es sich leichter ein!
Das ist lernpsychologisch hilfreich; denn durch das Unterstreichen überlegst
du genau, was wichtig ist; und das Farbige prägt sich besser ein.
Auch hier ist wieder günstig, wenn du dir das Wichtige entweder in
Stichworten oder kurzen Sätzen aufschreibst. Dabei kommt dir auch
noch die Schreibbewegung zu Hilfe. Immer solltest du mit vielen Sinnen
lernen: den Augen, dem Ohr, durch die Schreibbewegung,
die Sprechbewegung – und immer so viel wie möglich
tun: Schreiben, sprechen, lesen, zeichnen, unterstreichen, anmalen...
8. Stelle dir den Lerninhalt bildhaft vor!
Wenn zum Text ein Bild oder eine Skizze gehört, dann betrachte
das Bild aufmerksam. Frage dich: Was kann ich aus dem Bild lernen? Sprich
mit anderen über das Bild. Schließe deine Augen und mache dir
dein eigenes Bild vom Gelernten. Manchmal kann man sich durch Zeichnungen
oder Skizzen das zu Lernende besser einprägen.
9. Wenn du etwas nicht verstehst, frage nach!
Frage den Lehrer, deine Eltern oder einen Freund, oder einen Nachbarn,
oder jemanden, von dem du weißt, dass er dir gern hilft. Das Fragen
ist wichtig, denn wer fragt, der denkt. Und wenn du etwas gut durchdacht
hast, kannst du es besser in deinem Gedächtnis behalten.
10. Schlag nach, was im Schülerlexikon oder im Internet
über den Lernstoff steht!
Nachschlagen hat den Vorteil, dass du das Sachwissen noch in anderen
Worten liest und womöglich noch etwas Neues dazu erfährt, vielleicht
auch zusätzlich Bilder dazu betrachten kannst.
11. Nutze für die Prüfung dein Kurzzeitgedächtnis!
Der Mensch hat ein Kurzzeitgedächtnis und ein Langzeitgedächtnis.
Das Kurzzeitgedächtnis hält das Wissen nur ein paar Stunden.
Man kann es rasch auffüllen und vergisst das Gelernte schnell wieder,
wenn man es nicht wieder auffrischt. Deshalb ist es günstig, wenn
du das Gelernte in der Frühe oder unmittelbar vor der Kurzprüfung
noch mal durchliest und dir inwendig bewusst machst. Beim Langzeitgedächtnis
braucht das Einprägen viel Üben.
12. Lerne mit allen Sinnen! Benütze möglichst viele
„Eingangs-Kanäle“!
Das sind Wege, durch die du das Neue aufnehmen kannst. Solche Eingangskanäle
sind: Lesen, Schreiben, Sprechen, Bilder anschauen, die Landkarte studieren,
etwas von Kassette abhören, das Wichtige unterstreichen und farbig
markieren, etwas zeichnen oder skizzieren. Manchen Menschen hilft, wenn
sie beim Lernen zwischendurch im Zimmer auf und ab gehen und sich laut
aufsagen, was sie sich einprägen möchten. Viel Bewegung
ist immer nützlich.
13. Erzähle jemandem weiter, was du gelernt hast!
Dabei kann du das Gelernte anwenden, du merkst, wie gut du es schon
weißt, und du kannst mit deiner Mutter oder Freundin oder dem Klassenkameraden
darüber sprechen. Du erkennst deinen Lernfortschritt, wenn du jemandem
über das Neue berichtest.
14. Stelle dir selbst oder einer Mitschülerin Fragen, die
in der Kurzprüfung drankommen könnten!
Beantworte sie in deinen Worten. Noch besser ist, wenn du das Gelernte
jemand berichten kannst und ihr könnt miteinander darüber sprechen
oder auch euch gegenseitig ausfragen.
15. Finde allmählich heraus, welches für dich die beste
Form ist, etwas zu lernen.
Sprich auch mit deinen Mitschülern und Freunden darüber, wie
die es machen, wenn sie lernen. Wenn du deine eigene Lernmethode herausgefunden
hast, dann mache sie zur guten Gewohnheit.
Und noch ein paar Anregungen:
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Sprecht mit euren Lehrerinnen und Lehrern darüber, wie es euch
vor und in der Prüfung geht, wie ihr euch körperlich fühlt,
ob ihr Angst habt und was eure Angst lindern könnte.
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Fragt eure Lehrerin, was sie euch empfiehlt für eine gute Vorbereitung
auf die Kurzprüfung. Sie hat bestimmt lernmethodische Vorschläge,
die euch helfen können.
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Überlegt euch Vorschläge, wie ihr zur mündlichen Note
kommen könnt, ohne euch vor dem plötzlichen Aufrufen fürchten
zu müssen.
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Lasst euern Lehrer erzählen, wie es ihm in der Schule bei Prüfungen
ergangen ist. Ob er auch Angst vor Proben hatte, und ob er sich an
einen Lehrer erinnert, der ihm die Angst genommen hat.
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Wenn du besondere Angst vor Prüfungen hast, oder vor dem Aufgerufenwerden,
dann gehe einmal allein zur Lehrerin hin und erzähle ihr, wie
es dir geht, sie kann sich dann besser auf dich einstellen.
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