Prof. Dr. Kurt Singer
80 Schülerfragen an die Schule
Worüber Jugendliche, Eltern, Lehrer und Politiker
miteinander reden sollten
Schülerinnen und Schüler sollten bewusst wahrnehmen, wie sie
sich in der Schule befinden; dann können sie selbst etwas für
ihre Lernsituation tun. Die folgenden Fragen regen nicht nur Schüler,
sondern ebenso Lehrerinnen, Lehrer, Mütter und Väter an, zu
klären, wie sie die Schule sehen. Dadurch wird es möglich,
etwas zu verbessern, statt es kritiklos hinzunehmen. Was könnt ihr
als Schülerin und Schüler mit diesen Fragen anfangen?
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Ihr könnt genauer bestimmen, wie ihr eure Schulsituation
seht.
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Ihr könnt euer eigenes Beteiligt-sein an der Schulsituation
erkennen und brauchst nicht nur den «anderen» die Schuld
für Mängel zuweisen..
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Ihr könnt mit Lehrern, Eltern und Mitschülern mit Hilfe
dieser Fragen ins Gespräch kommen und Kreisgespräche
führen zum Thema „Wie wir den Schulalltag erleben“.
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Ihr könnt damit beginnen, dort etwas zu verändern,
wo es euch heute schon möglich ist.
1. Miteinander reden über den Unterricht – Wie gern
gehe ich in die Schule?
Schüler, Lehrer und Eltern sollten fortlaufend im Gespräch
darüber bleiben: Wie ist für mich die Schule? Was möchte
ich gern verändern?
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Gehe ich am Ende des Schultags in dem Gefühl nach Hause: «Heute
habe ich etwas gelernt, es hat sich gelohnt, in die Schule zu gehen»?
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Bei welchen Lehrerinnen und Lehrern oder in welchem Fach kann ich
sagen: «Da lernt man was»?
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Trage ich selbst etwas dazu bei, dass wir im Unterricht gut lernen
können?
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Freue ich mich auf den nächsten Schultag?
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Arbeite ich im Unterricht bereitwillig mit?
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Finde ich den Unterricht langweilig oder interessant?
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Halten wir nach jeder Unterrichtsstunde – oder nach Lernabschnitten
–
Rückschau: Was habe ich persönlich dazugelernt?
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Denken wir über die Frage nach: «Wie stellen wir uns
die Schule schöner vor?»
Verbessern wir etwas? Was kann ich vorschlagen, womit können
wir heute beginnen?
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Habe ich den Eindruck, die Lehrerin oder der Lehrer hält gern
bei uns Unterricht?
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Haben wir in allen Fächern, in denen das möglich ist,
Lösungshefte in Händen, damit wir – etwa in Mathematik
– sofort nachkontrollieren können, ob unsere Lösung
stimmt?
2. Beziehung zu Mitschülern und Lehrern – Fühle
ich mich im Kontakt sicher?
Der Lehrer-Schüler-Kontakt ist entscheidend dafür, wie sicher
sich Kinder und Jugendliche beim Lernen und Lehrerinnen und Lehrer beim
Unterrichten fühlen.
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Kann ich vor Unterrichtsbeginn Kontakt mit der Lehrerin aufnehmen,
wenn ich möchte?
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Gibt es eine Schülersprechstunde, in der Kinder mit dem Lehrer
bereden können, wozu sonst keine Gelegenheit ist?
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Kann ich ohne Angst zum Lehrer hingehen und ihm sagen: «Das
habe ich nicht verstanden, bitte erklären Sie es mir noch mal?»
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Interessiert sich der Lehrer nur für meine Leistung
– oder auch für mich persönlich, zum Beispiel durch
ein aufmerksames Wort?
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Interessiere ich mich für die Lehrer? Und zeige ich ihnen das
auch?
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Gibt es Gesprächsabende mit Lehrerin und Eltern und
Schülern, in denen wir offen miteinander über das reden,
was uns an der täglichen Schularbeit bewegt?
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Können Schüler in die Schulsprechstunde der Eltern mitkommen,
damit nicht über sie, sondern mit ihnen geredet wird?
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Habe ich den Eindruck, die Lehrerinnen und Lehrer sind bereit und
fähig, sich in die Einstellung von uns Jugendlichen einzudenken
und einzufühlen?
3. Achtsam miteinander umgehen: mit sich selbst, den Mitschülern
und Lehrern
In der Schule taktvoll miteinander umzugehen beruht auf der grundgesetzlichen
Achtung vor der «Würde des Menschen».
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Gehen Schülerinnen und Schüler freundlich miteinander um?
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Kann ich sicher sein, vom Lehrer nie bloßgestellt zu werden?
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Kann ich mich darauf verlassen, nicht unvorhergesehen aufgerufen
und «ausgefragt» zu werden, sondern nur dann, wenn ich
mich melde?
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Gehört es zu den Regeln des Zusammenlebens, nie einen Schüler
auszulachen?
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Ist es selbstverständlich, Zensuren nicht öffentlich bekannt
zu geben?
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Frage ich danach, wie es den Lehrerinnen und Lehrern in unserer
Klasse geht?
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Gehe ich taktvoll mit Lehrerin und Lehrer um? Worin zeige ich das?
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Brauchen Schüler nie befürchten, dass sie vom Lehrer gedemütigt,
„klein gemacht“ oder „fertig gemacht“ werden?
4. Mit Interesse lernen – Neugier entwickeln, persönliche
Berührungspunkte suchen
Wer neugierig lernt, behält mehr und verschafft sich Freude am
Lernen.
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Spielt das, was mich außerhalb der Schule interessiert und
was für mich im Leben
wichtig ist, auch im Unterricht eine Rolle?
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Kann ich im Aufsatz über Themen schreiben, zu denen ich wirklich
etwas auszusagen habe und die mich persönlich bewegen?
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Empfinde ich das Lernen als sinnvoll und bereichernd?
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Sitzen wir nur im Klassenzimmer – oder gehen wir auch hinaus
und entdecken etwas außerhalb der Schule?
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Gibt es in der Unterrichtsstunde mehr interessierte Schülerfragen
als prüfende Lehrerfragen?
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Sind die Lehrbücher interessant, lernanregend, verständlich
und aktuell?
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Kann ich mit dem in der Schule Gelernten bereits heute etwas anfangen?
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Habe ich den Eindruck, die Lehrerin interessiert die Sache, die
sie unterrichtet, ist sie vielleicht gar begeistert davon und steckt
uns an?
5. Handelnd und selbstbestimmt lernen – Lernen zur eigenen
Angelegenheit machen
Unterricht soll selbstbewusst machen und die Lernbereitschaft wecken.
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Kann ich im Unterricht aktiv sein – oder habe ich nur dem
zu folgen, was Lehrerinnen und Lehrer anordnen?
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Kann ich selbst tätig sein: erkunden, probieren, experimentieren,
lesen, schreiben, erforschen, entdecken, praktisch lernen?
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Lerne ich, «wie man lernt», wie man selbständig
Wissen findet, sich Informationen einprägt?
Lerne ich psychologische Lernhilfen kennen?
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Spielt im Schulalltag nur der «Kopf» eine Rolle, oder
kann ich auch mit der «Hand» etwas tun, handwerklich lernen?
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Gibt es Arbeitszeiten, in denen ich lernen darf, was ich
will, und in denen ich eigenen Ideen nachgehen kann?
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Darf ich in meinem persönlichen Tempo arbeiten?
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Sind mir meine eigenen Gedanken wichtig – oder überlege
ich nur, was der Lehrer hören möchte?
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Kann ich in Ruhe arbeiten, mich «selbstvergessen» in
eine Arbeit vertiefen?
6. Zusammenarbeiten, statt konkurrieren – Partner-, Gruppenarbeit,
Kreisgespräch
Zusammenarbeiten ist nicht nur das humanere Prinzip, sondern führt
zu Eigenständigkeit und besseren Leistungen.
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Arbeiten wir in jeder Unterrichtsstunde mindestens einmal auch in
Partnergruppen?
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Gehört das Lernen in Kleingruppen zum Schulalltag?
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Setzen wir uns zu Unterrichtsgesprächen im Kreis zusammen,
um miteinander zu sprechen und zu diskutieren?
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Welche gemeinsamen Projekte führen wir in der Klasse durch?
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Könnten wir eine Hausaufgaben-Gruppe gründen, in der wir
uns unterstützen und es kurzweiliger ist, die Aufgaben zu lösen?
7. Sich gegenseitig helfen – „Nachhilfe“ in
der Schule, statt außerhalb
Schule sollte sozial empfindsam machen. Da tauchen Fragen nach Hilfsbereitschaft
und Verantwortung auf:
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Können wir uns im Klassenzimmer jederzeit helfen?
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Erkläre ich im Unterricht der Mitschülerin etwas, was
diese nicht versteht?
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Frage ich den Tischnachbarn, wenn ich nicht weiter weiß?
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Vergleichen wir unsere Ergebnisse und suchen die Fehler gemeinsam?
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Freue ich mich nicht nur über eigene Fähigkeiten, sondern
auch über Fähigkeiten der Mitschüler?
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Lassen wir leistungsschwache Schüler hilflos zurück –
oder gehört das «Helferprinzip» zum Schulalltag?
8. Schulangst wahrnehmen und bearbeiten – Für angstfreies
Arbeiten eintreten
Zu große Angst macht dumm, krank, unkonzentriert, anpassungsbereit
und stumm. Schüler brauchen ein Schulklima der Ermutigung.
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Was ängstigt mich im Unterricht am meisten – und was
nimmt mir die Furcht?
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Spreche ich über meine Angst mit Eltern, Mitschülern und
Lehrern?
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Darf ich Fehler machen, ohne getadelt zu werden? Fehlerfreundlichkeit
ist wichtig.
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Erfahre ich vor Prüfungssituationen rechtzeitig, welche Lerninhalte
geprüft werden – weiß ich genau, was «drankommt»?
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Wirken wir Schüler dabei mit, die Prüfungsinhalte festzulegen,
um die Angst produktiv zu machen?
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Bekomme ich ausreichend Zeit, mich auf die Prüfung vorzubereiten,
und habe ich Gelegenheit zu fragen?
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Darf ich bei einer missglückten Arbeit die Prüfung wiederholen?
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Kann ich sicher sein, dass keine unangesagte Prüfung stattfindet?
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Was macht mir im Unterricht Mut?
9. Anderen und sich selbst Freude machen – Freudvolles
Lernklima im Unterricht?
Freude verbessert das Lebens- und Selbstwertgefühl – auch
im Unterricht.
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Gibt es in meinem Schulalltag «kleine Freuden»? Welche?
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Mache ich meiner Lehrerin oder meinem Lehrer gelegentlich eine Freude?
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Sage ich der Lehrerin, wenn ich die Unterrichtsstunde interessant
fand oder wenn mir sonst etwas gut gefallen hat?
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Finde ich ein gutes Wort für den Lehrer, wenn er aufmerksam
oder hilfreich war?
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Machen mir Lehrerin oder Lehrer gelegentlich eine Freude; haben
sie ein «gutes Wort» für mich?
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Trifft die Redensart «Geteilte Freude ist doppelte Freude
– geteiltes Leid ist halbes Leid» auf unser Schulleben
zu?
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Welche Freude kann ich mir selbst im Schulalltag machen –
und welche den Mitschülern?
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Haben wir in der Klasse ein ermutigendes, freudvolles Lernklima?
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Freue ich mich über unser Klassenzimmer, gehe ich gern hinein?
Gibt es da schöne Dinge, die ich gern anschaue?
10. Mitsprechen, mitbestimmen, Schülermitverwaltung –
Zivilcourage wagen
Schule sollte ein Ort sein, an dem alle Beteiligten Demokratie erfahren.
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Wo kann ich im Unterricht und Schulleben selbstständig entscheiden?
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Kann ich die Methode des Unterrichts und das Schulleben mitgestalten?
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Kann ich die Auswahl der Lerninhalte beeinflussen?
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Ist Kritik an Lehrerinnen und Lehrern möglich – und Selbstkritik
der Schüler?
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Sprechen wir Schülerinnen und Schüler darüber, was
wir verändern können – oder schimpfen wir nur über
die Schule?
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Traue ich mich zu widersprechen, wenn ein Lehrer nicht recht hat?
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Mische ich mich ein, wenn einem Mitschüler Unrecht widerfährt?
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Wage ich, offen meine Meinung zu äußern?
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Arbeite ich in der Schüler-Mitverwaltung mit? Lasse ich mich
zum Klassensprecher oder Schülervertreter wählen?
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